Sonntag, 26. April 2020

At King Ludd's court

Fortschrittsfeindlichkeit im 21ten Jahrhundert

Vor etwa 200 Jahren fanden sich Fabrikarbeiter zusammen um auf Befehl König Ludds Webmaschinen zu zerschlagen und Fabriken zu demolieren. Im England der Industrialisierung glich das einer Kriegserklärung an die Klasse der Fabrikbesitzer und diese reagierten mit entsprechenden Mitteln.

Die verschiedenen Arbeitergruppen, die unter dem Pseudonym und auf Geheiß des fiktiven Königs Ludd agiert hatten, wurden zerschlagen. Ihre Mitglieder wurden hingerichtet oder nach Australien deportiert. Doch König Ludd entging dem Galgen und wurde zu einem Symbol gegen den Fortschritt.

"And down with all kings but King Ludd!"

Spätere Historiker aus der Ecke des Revisionismus bewerteten die Maschinenstürmer als Kämpfer der Arbeiterklasse und ihren Kampf nicht als Kampf gegen den Fortschritt, sondern als Kampf gegen das Kapital und für bessere Lebensbedingungen. Letztendlich spielt ihre Motivation keine Rolle mehr. Wird heute von Neo-Ludditen geredet, so schwingt dabei immer die Bedeutung des Fortschrittsgegners mit. Dazu gehören sowohl Menschen, die an der Technik und Wissenschaft zweifeln oder sogar in radikaler Opposition stehen und zu einem früheren Zustand zurückwollen.

Seit der Aufklärung setzte sich bei vielen Menschen im Westen der Glaube an einen ständigen positiven Fortschritt der Menschheit durch und löste verschiedene andere Glaubensrichtungen, wie zyklische Modelle und das Erreichen eines Endziels ab.
Jahrhunderte später beherrscht die Menschheit den Luftraum und ist in das All vorgestoßen. Die Menschen im Westen erreichen ein für frühere Verhältnisse biblisches Alter. Der Großteil aller Krankheiten sind ausgerottet oder behandelbar. Man kann in nahezu Echtzeit mit Menschen auf anderen Kontinenten per Bild und Ton kommunizieren und binnen eines Tages zu ihnen reisen. Wir haben das Atom gespalten und können Energie aus unserer Umwelt zu unserem Nutzen einsetzen.

Warum also müssen wir uns immer noch mit dem Geist König Ludds herumärgern?

“In the world I see you are stalking elk through the damp canyon forests around the ruins of Rock feller Center. You'll wear leather clothes that will last you the rest of your life. You'll climb the wrist-thick kudzu vines that wrap the Sears Towers. And when you look down, you'll see tiny figures pounding corn, laying stripes of venison on the empty car pool lane of some abandoned superhighways.”

Chuck Palahniuk- Fight Club


Nach einem Zeitalter des Fortschrittsglaubens hat die Idee bei vielen Menschen einen schweren Stand. Dies zeigt sich in vielen Facetten wie zum Beispiel der Populärkultur und hat mehrere Gründe. Zuerst möchte ich jedoch einen Überblick über den Fortschrittsglauben der jüngeren Geschichte geben.

Einen ersten Dämpfer erhielt der Glaube an den guten Fortschritt in den Gräben Flanderns. Das Zerstörungspotential der Technik traf die Menschen unvorbereitet und prägte diese Generation nachhaltig. Der zweite Weltkrieg war technisierter, aber er hinterließ im kollektiven Bewusstsein nicht dieselben Spuren, obwohl er wesentlich grausamer geführt wurde. Die Täter waren Menschen und eine menschliche Idee. Die Technik war ein Schwert, das Held und Schurke gleichermaßen führen konnten.

Die Nachkriegszeit war geprägt vom Aufschwung und dem Glauben an einen guten Fortschritt. Die Regale wurden voller, die Autos zahlreicher und auch die friedliche Nutzung der Atomenergie ließ die Menschen träumen. Liest man Sci-Fi-Literatur aus dieser Zeit, so führen alle Menschen im Jahr 2000 Hover-cars, Unterwasserfischfarmen versorgen eine wachsende Weltbevölkerung und der Mond wäre kolonisiert. Aber auch damals gab es schon die Nein-Sager und die "Früher war alles besser"-Fraktion.


Der Club of Rome prognostizierte ein Austrocknen der Ölquellen, Orwell diskutierte die Möglichkeiten einer totale Überwachung  und die Friedensbewegung schürte Angst vor dem nuklearen Holocaust.

Beinahe ein halbes Jahrhundert später lehne ich mein Fahrrad an der Ruine eines Plattenbaus und danke dem großen Bruder, dass ich trotz wolkenverhangenem Himmel das grünliche Alpenglühen genießen kann.

Der Ist-Zustand weicht natürlich stark von den Prognosen ab. 1967 träumte kaum jemand von Smartphones und der Digitalisierung.  Die Leute würden über Dinge staunen, die wir als ganz alltäglich wahrnehmen. Keiner würde bestreiten, dass wir in diesen 50 Jahren nicht fortgeschritten wären.

Von der Geschichte kommen wir nun zu den Facetten dieser Gegnerschaft. Diese reicht von Anarcho-Primitivisten über Impfgegner bis hin zu "Naturschützern".
Ted Kaczynski ist ein gutes Beispiel eines Fortschrittfeindes und Kulturpessimisten, da er in seinem Weltbild mehrere Strömungen vereint. In seiner Schrift: "The coming revolution" führt er die aus seiner Sicht nötigen Schritte an:

Ablehnung aller modernen Technologie, des Materialismus und sogar der Zivilisation wie wir sie kennen. Liebe zur sowie Vergöttlichung der Natur, die Bestrafung der Verantwortlichen (Wissenschaftler, Ingenieure, Politiker) an den Missständen und eine "Vergrößerung" der Freiheit.

Auf dem Gebiet der Freiheit ist er leider kein Fachmann, da er seit guten 24 Jahren hinter Gittern sitzt. Anscheinend kann man ein Genie  sein und trotzdem nicht alle Latten am Zaun haben, denn Leute mit Briefbomben ermorden und damit eine Revolution auslösen wollen? 
RUFKM?

Warum sollte man sich trotzdem mit Leuten beschäftigen, die diese Ideen vertreten?
Nun- sie beeinflussen die Debatte. Dabei sind die meisten Vertreter gar nicht so hardcore wie Ted Kaczynski, aber verändern dennoch durch ihre Ansichten ihre Umwelt.

Ob Atomenergie, diverse Bauvorhaben, Stromtrassen oder aktuell Elektromobilität, Corona und Umwelt. Es findet keine vernünftige Debatte statt. Man redet nicht richtig über technische oder wirtschaftliche Aspekte, es schwingt immer der persönliche Gusto und das Eigeninteresse komprimiert als politischer Wille mit. Dazu fehlt den meisten Deutschen die Fähigkeit von 12 bis Mittag zu denken.

Natürlich kann man jetzt hergehen und sagen, dass es nicht so schlimm sei, wenn dieser Bahnhof langsamer oder kleiner gebaut wird, weil man vorher einen Feldhamster umsiedeln muss oder eine Stromtrasse nicht gebaut wird, weil dadurch ein Hügelkamm nicht mehr so schön aussieht. Aber auf längere Sicht rächt sich sowas.

Man kommt als Gruppe langsamer voran, reibt sich auf Nebenkriegsschauplätzen und entwickelt sich immer langsamer. Stillstand ist Rückschritt und wer auf seiner Stufe verharrt, wird irgendwann von denen gefressen, die "besser" sind. In der Natur bedeutet besser immer ein "besser angepasst", in unserem Fall entspricht ein besser eher einem wettbewerbsfähiger. Im Konfliktfall bekommt "besser" nochmal eine andere Bedeutung.                
          

"Where are your marvels of engineering? Your voyages of discovery? Your great insight to the nature of the universe? Even at our basest, when we dressed as you do, hunted as you do, lived as you do, we did more than merely survive. We build wonders. We made great journeys. We forged epics. You have not.....
And above your tomb, the stars will belong to us."

Colonel Miles- Avatar

Der Film "Avatar" endet damit, dass die Ureinwohner das Expeditionscorps aufreiben und vertreiben. Das war Teil 1. In Teil 2 erscheint eine größere Truppe und macht die Blauhäute wie damals die Kolonisten die Rothäute nieder. In Teil 3 werden die Überlebenden in Reservate gesperrt oder im Worst Case an Chinesen verkauft.
Wer aufhört sich zu entwickeln... wird aufhören zu existieren.






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